11.04.2024

Von der Friedensdividende zur Abschreckung

Dr. Thomas Kauffmann (links) mit Christoph Botzenhart (rechts)

Jahrzehntelang lebte Deutschland in Frieden und fuhr entsprechend seine Verteidigungsausgaben zurück – man spricht bei den für andere Zwecke frei werdenden Ressourcen auch von einer „Friedensdividende“. Ohnehin basiert die Verteidigung Deutschlands auf der arbeitsteiligen Zusammenarbeit im NATO-Bündnis und in der EU. Die Idee dahinter ist eine „Abschreckung“ möglicher Aggressoren wie Putin, so dass ein Krieg gar nicht erst ausbricht. Parallel betrieb man eine Politik des „Wandels durch Handel“, die auf der Annahme basiert, dass Regime wie Russland die wirtschaftlichen Vorteile einer Zusammenarbeit sehen und sich langfristig auch politisch und militärisch mäßigen sowie gesellschaftlich modernisieren würden. Eigentlich schon seit der Annexion der Krim, aber spätestens seit dem offenen Angriffskrieg auch gegen die restliche Ukraine weiß man, dass diese Annahme zumindest im Falle Russlands falsch ist.

Auf Einladung von Bürgerimpulse stellte der ausgewiesene Verteidigungsexperte Dr. Thomas Kauffmann – ein früherer Berufssoldat, der im Bereich Strategieforschung promovierte und nun als Vice President der General Dynamics European Land Systems tätig ist – am 11.04.24 im gut besuchten Studio der Sparkasse Ulm dieses neue sicherheitspolitische Umfeld Deutschlands verständlich dar und ging auf mögliche Konsequenzen daraus ein.

Die globalen Machtblöcke und ihre Zusammenhänge und Wechselwirkungen sind an sich bereits länger etabliert. Die USA und China ringen um die Vorherrschaft, derzeit vor allem wirtschaftlich und politisch, aber auch durch Rüstung. Europa ist zwar politisch und gesellschaftlich eindeutig zum Westen zu zählen, kooperiert wirtschaftlich aber auch stark mit China. Letzteres wird in den USA mitunter als kontraproduktiv gesehen. Zudem werden schon länger Forderungen laut, dass Europa sein Engagement in der NATO auch finanziell wieder hochfährt, während andere wie Donald Trump sogar die NATO selbst infrage stellen – zumindest rhetorisch. China scheint den Angriff auf die Ukraine unterdessen interessiert als Fallstudie für einen möglichen Einmarsch in Taiwan zu betrachten. Unter anderem über den Iran, der Waffen sowohl für Russlands Krieg in der Ukraine als auch für den Kampf von Hamas und Hisbollah gegen Israel liefert, gibt es Querverbindungen zwischen der Lage im Nahen Osten und der in der Ukraine. Der Nahe Osten ist eine Putin nicht ungelegen kommende mögliche zweite „Front“ für den Westen, der sich dem Schutz Israels verpflichtet hat.

Für die zahlreichen Staaten Europas ist es eine Herausforderung, ihre Reaktion auf diese geopolitische Lage miteinander zu koordinieren. EU und NATO bieten jedoch entsprechende Instrumente, die in den letzten Jahren gestärkt und optimiert wurden, nicht nur durch die NATO-Erweiterung auf Finnland und Schweden, sondern auch durch schnellere Entscheidungswege. Wissenschaftlich gesehen sind verteilte, dezentrale Strukturen zudem nicht zwangsläufig eine Schwäche, sondern sie bedeuten auch höhere Widerstandsfähigkeit, weil sie nicht durch Angriffe auf einzelne Elemente zerstört werden können. Allerdings wünscht sich Europa ein vorhersagbares und verlässliches Auftreten des wirtschaftlich starken Deutschland in dieser Gemengelage. Hier spielt eine stabile Zusammenarbeit mit Polen und Frankreich eine wichtige Rolle.

Wenn man nun die „Flughöhe“ der Betrachtung reduziert und auf konkrete Maßnahmen zu sprechen kommt, so wird unter anderem deutlich, dass für eine weiterhin wirksame Abschreckung die europäische Infrastruktur modernisiert werden muss. Das größte Hindernis, um im Ernstfall auch schweres Militärgerät an die NATO-Ostgrenzen zu verlegen, sind Gewässer sowie zum Teil Gebirge und somit unsere oft maroden Brücken als Bestandteil des europäischen Straßen- und Schienennetzes. Eine Wortmeldung aus dem Publikum sah es als Versäumnis der Politik, die „Friedensdividende“ der letzten Jahrzehnte nicht wenigstens in diese auch für den Zivilverkehr einschließlich der Wirtschaft relevante Infrastruktur investiert zu haben.

Man kann zudem nur das wirklich, was man zuvor geübt hat, so Dr. Kauffmann. Daher sind NATO-Manöver ein wichtiger Bestandteil der Abschreckung. Die von ihm beruflich – aber nicht bei diesem Vortrag – vertretene europäische und amerikanische Rüstungsindustrie sei auf einem guten Weg, bei entsprechenden Anfragen der Regierungen künftig auch zu liefern – und zwar leistungsfähigere als die entsprechenden russischen Waffen. Darüber hinaus ist die personelle Ausstattung der europäischen Armeen eine große Herausforderung. Eine Dienstpflicht auch für Frauen – dies beinhaltet auch soziales Engagement als Wehrersatzdienst – ist zwar keine populäre Forderung, gehört aber zur gesamtgesellschaftlichen Diskussion, der wir uns zum Erhalt unserer Freiheit und unseres Wohlstands in Europa stellen müssen. Hier benötigt die Politik Rückendeckung aus der Bevölkerung und so liegt es an jedem Einzelnen, in seinem Umfeld ein entsprechendes Bewusstsein für die veränderte Sicherheitslage zu schaffen.

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